In Polen ist die Freiheit des Internets nach dem Machtantritt der PiS bedroht.
Ich möchte Euch auf einen Prozeß aufmerksam machen, der sich derzeit in unserem Nachbarland Polen abspielt. Sicher wißt ihr, daß die letzen Wahlen sowohl einen Staatspräsidenten, als auch eine Premierministerin hervorgebracht hat, die aus der gleichen Partei kommen, der rechtskonservativen PiS.
Beide Vertreter sind vom Parteichef Jarosław Kaczyński installiert, der hinter den Kulissen agiert. Kaczyński kommt aus der Bewegung Solidarność, die den Untergang des Kommunismus 1989 eingeleitet hat. Dabei hatte er aber nie eine führende Rolle gespielt, im Gegensatz zu Lech Wałesa, dem er dessen Erfolg bis heute neidet. So versucht Kaczyński, die Geschichte gewaltsam umzuschreiben-um sich zum wahren Sieger über die Kommunisten 1989 zu erklären. Dazu kommt, dass er den Tod seines Bruders bei einem Flugzeugabsturz vor zehn Jahren nicht verwunden hat. Das Unglück instrumentalisiert er politisch gegen die Opposition und mißbraucht das Gedenken der Opfer des Flugunglücks politisch.
Die neue Regierung begann, unmittelbar nach der Vereidigung im November 2015, Kaczyńskis Vorstellungen von einem autoritären Staat, nach dem Vorbild Ungarns, umzusetzen: Zuerst wurden in nächtlichen Sitzungen des Parlaments Gesetze verabschiedet, in deren Folge das Verfassungsgericht Polens paralysiert ist. Weitere schwerwiegende Eingriffe in die Demokratie stellen zum einen das neue Mediengesetz dar, mit dessen Hilfe die Gremien der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunksender abgeschafft wurden. Nun entscheidet der Schatzminister (!) direkt über die Geschäftsleitung und Entlassung/Anstellung von Redakteuren – also eine wunderbare Steilvorlage, um die öffentlich-rechtlichen Sender zum Sprachrohr der Regierung umzufunktionieren, was in der Tat inzwischen schon Realität geworden ist.
Zum anderen sorgt das neue Polizeigesetz dafür, daß eine Überwachung („inwigilacja“) ohne richterliche Anordnung möglich ist, und das für einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten. Hier mehr dazu. Der oder die Überwachte erfährt davon in Zukunft nichts mehr. Die neuen Regelungen gelten für Metadaten von „EDV-Datenträger, Telekommunikationsendgeräte und EDV- und Telekommunikationssysteme.“ Überwacht werden können Telekommunikationsdaten wie Handynummer, Mobilfunkverbindungen, Standort und IP-Adresse. Polizei bzw. Geheimdienste müssen dem regional zuständigen Gericht jedes halbe Jahr einen Bericht vorlegen. Die Namen von Kontakten eines überwachten Bürgers dürfen auch gesammelt werden. Das Berufsgeheimnis von Journalisten, Ärzten oder Anwälten ist aufgehoben.
Verschärfend kommt hinzu, daß der Justizminister per Gesetz auch Vorgesetzter der Staatsanwälte ist. Damit hat er ein direktes Zugriffsrecht auf die Gerichte und kann nach Gutdünken auch politisch mißliebige Kontrahenten überwachen lassen.
Ein Vorfall ereignete sich unlängst, als die Poizei in die Wohnung eines Jugendlichen eindrang und seinen Computer beschlagnahmte. Der Jugendliche hatte zuvor ein Video auf sein Facebookprofil hochgeladen, welches den Staatspräsidenten Andrzej Duda (der ebenfalls aus der PiS kommt) satirisch darstellt.
Widerstand
Der gesellschaftliche Widerstand hat sich schnell formiert. Neben alten und neuen Oppositionsparteien gibt es KOD (komitet obrony demokracji), das „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“, welches sich als überparteilich bezeichnet und vor allem eine Plattform sein will, die ein demokratisches Verständnis vermittelt und Widerstand gegen die Brechung demokratischer Gepflogenheiten durch die PiS leistet. Das geschieht durch Manifestationen auf der Straße, aber auch durch Vernetzung im Internet: 212.000 Personen folgen der KOD-Seite bei Facebook bis heute, es gibt eine Gruppe für die im Ausland lebenden Polen, und, je nach Aktivität, Gruppen in einzelnen Ländern, so auch für Deutschland. Diese Gruppen sind geschlossen. Neue Mitglieder werden nur nach gründlicher Recherche zugelassen, um dem Problem der Trollbildung zu begegnen. Für weitere Informationen ist der englischsprachige Twitterkanal von KOD empfehlenswert.
Wortführer von KOD ist Mateusz Kijowski, ein Informatiker, der sehr ausgewogen agiert. So fordert er einen neuen runden Tisch, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen sitzen sollen, um gemeinsam die strukturellen Problem in Polen zu lösen. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg.
Grundsätzlich werden Bewegungen, die sich gegen die Regierungspartei PiS stellen, von, teilweise bezahlten, Trollen im Internet angegriffen (diese Erfahrung habe ich selber auch gemacht). Diese Tatsache und die neuen Abhörmaßnahmen führen dazu, daß sich Regierungskritiker in Polen sehr intensiv mit den Möglichkeiten auseinandersetzen, der Überwachung Grenzen zu setzen und sich sicher zu vernetzen.
Deswegen
Die Regierungskritiker in Polen bedürfen unserer Solidarität. Es kann nicht sein, daß ein Land der EU Andersdenkende systematisch ausschließt und zu Bürgern zweiter Klasse erklärt. Das widerspricht einem Europa, welches sich für die Freiheitsrechte des Einzelnen einsetzt und welches Digitalisierung nicht mit dem Verlust von Grundrechten gleichsetzt. Nur gemeinsam können wir erfolgreich die europäische (digitale) Demokratie weiterentwickeln.