Für die Demokratie kämpfen, aber wie?

Martin Pollack

Martin Pollack by Amrei-Marie CC BY-SA 3.0

Der Rauswurf des renommierten Publizisten, Osteuropaexperten und verdienstvollen Erinnerer an alte Kulturlandschaften, Martin Pollack aus dem aus dem polnischen Institut in Wien ist ein neuer kleiner Tropfen auf die Aushöhlung der Demokratie in Polen und der Entwicklung Polens hin zu einem autoritär-diktatorischen Staat. Gesteuert von Jarosław Kaczyński, Parteichef der Regierungspartei PiS und Strippenzieher hinter dem Präsidenten und der Premierministerin, taumelt das Land immer weiter weg von dem, was wir als Demokratie bezeichnen. Lücken in der Verfassung werden ausgenutzt, um das Verfassungsgericht als dritte Gewalt auszuschalten. Absolute Mehrheiten im Parlament werden genutzt, um, in Kombination mit einem willfähigen Präsidenten, alle vorher verabschiedeten Gesetze durchzuwinken. Der Justizminister ist gleichzeitig Oberstaatsawalt. Der Schatzminister entscheidet direkt über die Besetzung der Posten der staatlichen Medien. Parlamentsausschüsse? Fehlanzeige! Anhörung der Opposition? Fehlanzeige! Berücksichtigung von Minderheiteninteressen? Fehlanzeige!

Es dominiert eine rechtsnational-klerikale Weltsicht. Und die ist fundamentalistisch. Jeder, der nicht mit uns ist, ist gegen uns. Zu den Gegnern gehören Fahrradfahrer, Müsliesser, Atheisten, Muslime, Abtreibungsbefürworterinnen, und alle weiteren Gruppen, die nicht ins eigene Weltbild passen. Ein gefährliches Weltbild, das auch die stillschweigende Tolerierung rechtsradikaler Gruppen einschließt. Das Ganze wird dann garniert mit der Umdeutung von geschichtlichen Ereignissen zugunsten des eigenen Weltbildes. Beispiel gefällig? Bitteschön: Mit dem Gesetz zum »Schutz des guten Rufes Polens« sollen angebliche »Geschichtslügen« verboten werden, die das Ansehen Polens in der Welt schädigen könnten. Was zu den „Geschichtslügen“ gehört, ist natürlich nicht definiert und wird von Fall zu Fall von der grauen Eminenz Jarosław Kaczyński definiert.

Der größte Feind für die PiS ist der „Kommunismus“, bzw. alles was als „kommunistisch“ empfunden wird. Opposition ist „kommunistisch“, die Bürgerbewegung KOD ist „kommunistisch“, die letzten 25 (Transformations-) Jahre waren „kommunistisch“. Das Groteske: Die PiS ahmt in ihrem Verhalten genau das nach, was sie in Form „Der Kommunisten“ bekämpft. Sie ist kommunistischer, als die Kommunisten. Also, die Volksrepublik Polen relodet. So ist der Plan. Einfach die Uhr zurück stellen. Auf Start, als ob es die Revolution der Solidarność nie gegeben hätte. Sozusagen die Revolution der Revolution. Absurd, wenn ich bedenke, dass die PiS nur von 19 % aller Wahlberechtigten gewählt wurde. Aber so ist es mit der Demoktratie. Nicht nur in Polen. Auch im Europäischen Parlament, in dem eine Menge Abgeordnete sitzen, die für die Abschaffung der EU eintreten. Ein Paradoxum, aber es existiert.

Martin Pollack meint:

Was in Polen passiert, betrifft uns alle

Er hat Recht. Der Krieg Putins in der Ukraine, Ungarns Zaunbau und Schießbefehl, Kaczyńskis Abschaffung der Demokratie, das sind reale Ereignisse, Tatsachen, die bereits eingetreten sind.

Die antidemokratische Programmatik der AfD, die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich und Der USA, das sind zukünftige Ereignisse, die, je nach Ergebnis, die Demokratie zusätzlich zurückdrängen.

Was aber ist zu tun? Wie können wir die Demokratie verteidigen, die Demokratie zurückerobern? Ich sehe wenig Aktivität, dagegen viel Lethargie, Ratlosigkeit und Hilflosigkeit.

Polen interessiert die meisten Deutschen nur am Rande. Doch der Dominoeffekt hat bereits begonnen: Russland, Ungarn, Polen. Weitere Kandidaten können folgen.

Wie als Demokrat für die Demokratie kämpfen, ohne Gewalt anzuwenden? Das wird schwierig. Weil dieser Widerspruch nicht aufzulösen ist. „Wenn wir die Methoden der Nicht-Demokraten anwenden, sind wir nicht besser als sie“ heißt es. Diesem Argument habe ich bis jetzt noch nichts entgegensetzen können. Ich verstehe jetzt besser, dass es den Nationalsozialisten 1933 gelang, die totale Herrschaft über nahezu alle Lebensbereiche zu erlangen. Ein direkter Vergleich mag nicht angemessen sein, ein Vergleich der Mechanismen, die hinter Demokratieabschaffungsprozessen liegen, schon. Die Erkenntnisse lehren: „Wehret den Anfängen“. Aber was ist mit dem Ländern, in denen die Anfangsphase bereits vorbei ist? Im 3. Reich blieb nur Anpassung, Emigration, Untergrund, Vernichtung.

Was haben wir im Europa des 21. Jahrhundes für Alternativen?